Haus in der Martinstrasse

Spurensuche

Meilensteine auf dem Weg zu den Fachbereichen Gesellschaftwswissenschaften und Soziale Arbeit

Lange Zeit waren die verantwortlichen Darmstädter Stadtväter nicht bereit, einen Pfennig aus ihrem Stadtsäckel für die Ausbildung von Mädchen und Frauen auszugeben. So ist es bis ins frühe 20. Jahrhundert hinein mehr oder weniger privaten oder Vereinsinitiativen zu verdanken, dass die ersten zukunftsweisenden Schritte den richtigen Weg vorgaben. Die Spurensuche nach den Wurzeln institutionalisierter Ausbildung in sozialen Berufen ist eng verbunden mit den frühen Bestrebungen um Frauenbildung in Darmstadt. Zwei bekannte Protagonistinnen machten das Thema zu ihrer Sache: Die designierte Großherzogin Alice von Hessen engagierte sich schon früh für die öffentliche Gesundheitspflege und gründete ab 1867 gemeinsam mit Luise Büchner die Alice-Frauenvereine mit der Verpflichtung zur Einrichtung von Ausbildungsschulen für Frauen. Luise Büchner, Schwester des bekannten politischen Schriftstellers Georg Büchner, verfolgte hartnäckig ihr Ziel, bürgerlichen Frauen qualifizierte Bildung und Ausbildung zu ermöglichen.

Vorab ein kleiner, für die spätere Entwicklung jedoch wichtiger Exkurs zur Kleinkinderschule des Pädagogen Johannes Fölsing in Darmstadt, die für Mädchen und Jungen des gehobenen Bürgertums 1843 ihre Türen öffnete. Enge Verbindungen Fölsings zu Friedrich Fröbel führten die bei dem Pädagogen als Fröbel-Kindergärtnerin ausgebildete Ida Seele ein Jahr später an die Kleinkinderschule nach Darmstadt, wo sie 14 Jahre im Fröbelschen Geiste vorbildliche Kleinkindererziehung leistete und gleichzeitig in einem Kindergärtnerinnenseminar unterrichtete.
 

Alice-Frauenverein für Krankenpflege

In der Mauerstraße 17 – unweit der ersten, bereits 1833 gegründeten Darmstädter Kleinkinderschule – betrieb seit 1854 ein privates Ärzte-Team das ‚Mauerspitälchen‘ im heute als ‚Achteckhaus‘ bekannten und dem Jazz verpflichteten Gebäude.1872 übernahm der fünf Jahre zuvor gegründete Alice-Frauenverein für Krankenpflege im Großherzogtum Hessen das Spital mit der Auflage, das Gebäude zu renovieren, es durch einen Erweiterungsbau zu ergänzen und außer der Versorgung von Kranken auch die Ausbildung von Pflegekräften zu übernehmen.

Charlotte Helmsdörfer war verantwortlich für die Pflegerinnen des Alice-Hospitals, das ab 1883 in einem neuen Gebäude in der Dieburger Straße untergebracht war. Auf Vereinskosten erhielt die spätere langjährige Leiterin der Schwesternschule bei den ersten Adressen für moderne Krankenpflege eine gründliche Ausbildung. Von Anfang an waren Ausbildungsstätte und Arbeitsumfeld eine Einheit. Altersversorgung und soziale Sicherung waren für die Alice-Pflegerinnen schon früh vorbildlich geregelt. Die von Alice und Luise Büchner begonnene Tradition der Schwesternausbildung führt heute die Alice-Schwesternschaft im Roten Kreuz am Alice-Hospital fort.

Studiengänge für Pflegeberufe sind in der Hochschule Darmstadt allerdings nicht zu finden. Die Evangelische Hochschule Darmstadt bietet jedoch einen Bachelor-Studiengang ‚Pflege und Gesundheitsförderung‘ und einen darauf aufbauenden Master-Studiengang ‚Pflegewissenschaft‘ an.

Das erste Kindergärtnerinnenseminar

Zeitgleich mit dem Alice-Frauenverein für Krankenpflege wurde der Alice-Verein für Frauenbildung und -erwerb aus der Taufe gehoben. Für Idee und Initiative standen wieder Alice und Luise Büchner. Getreu der Satzung des Vereins, Bildung und Erwerbsfähigkeit der Frauen im Großherzogtum zu fördern, folgten eine Reihe von Initiativen, unter anderem die Gründung der Alice-Schule im Jahre 1872. Zunächst nur den hauswirtschaftlichen Fächern verpflichtet, eröffnete die Schule jedoch 1917 ein Kindergärtnerinnenseminar, bald darauf in einem eigens dafür angemieteten Haus in der Martinstraße 28. Damit ging eine Herzensangelegenheit der Großherzogin in Erfüllung. Die Umsetzung ihrer Idee, mit der Ausbildung von Kindergärtnerinnen im Geiste Fröbels einen Beitrag zu leisten zur fachlichen Qualifizierung der Kleinkindererziehung, konnte die Stifterin selbst nicht mehr erleben.

Die Machtergreifung der Nationalsozialisten mit der rasch einsetzenden Gleichschaltung hatte auch für die Darmstädter Institutionen und Vereine Konsequenzen. Auf Anordnung fusionierten 1934 die Alice-Eleonoren-Schule (bis 1917 Alice-Schule) und die Städtische Haushaltsschule. Das nun als Staatliches Kindergärtnerinnen- und Hortnerinnen-Seminar geführte Seminar wurde organisatorisch mit der Eleonorenschule verbunden, um 1939 an die wieder in Darmstadt befindliche Hochschule für Lehrerbildung zu wandern.

Einen Umbruch in jeder Hinsicht brachte der Bombenangriff auf Darmstadt im September 1944. Die verheerenden Folgen sind bekannt: Fast 80 Prozent der Innenstadt waren zerstört, Wohnraum war Mangelware und Raumknappheit bestimmte die Arbeit der Darmstädter Institutionen in den Folgejahren.

1944 ausgebombt, nach Bensheim ausgelagert und kurz darauf geschlossen, begann für die Fachschule für Kindergärtnerinnen und Hortnerinnen 1946 eine neue Ära in der Alexanderstraße 35, in einem Quartier, das mit anderen Nutzern geteilt werden musste. Zunächst wieder unter dem organisatorischen Dach der Eleonorenschule untergebracht, erhält die Fachschule 1954 den Status einer eigenständigen Staatlichen Fachschule. Das Koch’sche Haus in der Viktoriastraße garantierte ab 1949 als Übungskindergarten die enge Verzahnung von Ausbildung und Praxis.

Endlich unter einem Dach

Trotz beengter Verhältnisse musste das Haus in der Alexanderstraße 35 noch so lange als Unterkunft herhalten, bis 1956 ein eigenes Domizil in einem von der Stadt angekauften, als ‚Fichteburg‘ bekannten Haus in der Fichtestraße 33 bezogen werden konnte.

Auch die ‚Fichteburg‘ konnte nur Übergangsquartier sein. Von den Räumlichkeiten her mehr schlecht als recht geeignet, lagen jetzt Ausbildungsstätte und Übungskindergarten viel zu weit auseinander. Mehr als zehn Jahre sollte es noch dauern, bis 1967 in der Martinstraße 140 die neuen Gebäude eingeweiht werden konnten, eine adäquate Bleibe, die das Kindergärtnerinnenseminar mit Kindergarten und Kinderhort sowie das Seminar für Jugendleiterinnen unter einem Dach vereinte – allerdings nur für kurze Zeit.

Bis zum Umzug in das neue Quartier in der Martinstraße 140 fanden weitere zukunftsweisende Veränderungen statt. Ab 1964 als Staatliche Schule für sozialpädagogische Berufe nun auch mit der Ausbildung zu Jugendleiterinnen beauftragt, wurde die Institution zu einer Höheren Fachschule aufgewertet.

Begleitet vom gesellschaftlichen und politischen Umbruch der 60er und 70er Jahre fand eine Neustrukturierung der Hochschullandschaft statt, die auch zur Verabschiedung der Fachhochschulgesetze und der Einrichtung von Fachhochschulen führte. Damit einher ging die Umwandlung der Höheren Fachschulen in Fachhochschulen.

Mit der Gründung der Fachhochschule Darmstadt (FHD) im August 1971 bildete das Seminar für Jugendleiterinnen in der Staatlichen Schule für sozialpädagogische Berufe, das die Institution zur Höheren Fachschule gekürt hatte, den Nukleus des neuen Fachbereichs Sozialpädagogik. Verbunden damit war der Umzug in das ‚Hochhaus‘ in der Schöfferstraße. Die Fachschule bleibt in der Martinstraße 140 und ist seit 1972 als Abteilung für Sozialpädagogik der Alice-Eleonoren-Schule verantwortlich für die Ausbildung der Erzieherinnen und Erzieher.

Enge Verzahnung von Ausbildung und Praxis: Fast zwanzig Jahre ist das Koch’sche Haus in der Viktoriastraße Übungskindergarten. 1972 wird der lange erwartete Neubau eingeweiht (Quelle: Stadtarchiv Darmstadt, Foto: Renate Gruber, ca. 1972)


Der Fachbereich nimmt seine Arbeit auf

Die erste Dekade des Fachbereichs Sozialpädagogik stand unter dem Zeichen des Auf- und Ausbaus. Dozentinnen und Dozenten der ehemaligen Höheren Fachschule lehrten nun an der neu gegründeten Institution. Das Personal des aufgelösten Instituts für Lehrerbildung in Jugenheim, die sogenannten ‚Medien‘-Lehrer, wechselte an die Fachhochschule. Ein Fächerangebot wie Musik, Sport oder Gestaltung im Rahmen der sozialpädagogischen Ausbildung ist seitdem ein Alleinstellungsmerkmal in der deutschen Fachhochschullandschaft. Kontroverse Diskussionen und Abstimmungen mit dem Wiesbadener Ministerium begleiteten während einer längeren Phase die Aufstellung von Studien- und Prüfungsordnungen. Gut zehn Prozent der Lehre gingen in die Betreuung der Berufspraktikantinnen und -praktikanten. Diese Zweiphasigkeit der Ausbildung als besonderes Qualitätsmerkmal wurde bis heute hessenweit vor dem Rotstift gerettet.

Eine etwas ruhigere Gangart hätte die anschließende Konsolidierungsphase eingeläutet, wären nicht die beengten Verhältnisse in den zwei Stockwerken im ‚Hochhaus‘ gewesen. Die Suche nach einer passenden Bleibe, notwendige Um- und Neubaumaßnahmen sowie der Umzug in die Adelungstraße 51 im Jahre 1981 sorgten für zusätzliche Unruhe. Zunächst nicht von allen akzeptiert, können sich Lehrende und Studierende heute keinen anderen Standort mehr vorstellen.

Endlich eine eigene Bleibe: Der Fachbereich Sozialpädagogik zieht nach Um- und Neubau 1981 in die Adelungstraße 51 (Foto: h_da/Brigitte Kuntsch)


Große Veränderungen brachte der Bologna-Prozess mit der Einführung von Bachelor- und Masterabschlüssen. Neue Studienordnungen mussten aufgesetzt, auf ihre Studierfähigkeit hin überprüft und einem Akkreditierungsverfahren unterzogen werden. Die Forschung gewinnt im Zuge von Bologna für die Fachhochschulen weiter an Bedeutung, da Masterabschlüsse immer eine aktuelle wissenschaftliche Fragestellung behandeln sollten. Nicht zuletzt ist eine intensive Rückkopplung zwischen Praxis und Forschung Anregung und Bereicherung für das Lehrpersonal und die Studierenden im Fachbereich.

Mit der Fusion mit den Sozial- und Kulturwissenschaften (SuK) 2007 erhielt der Fachbereich Sozialpädagogik einen neuen Namen. Als Fachbereich Gesellschaftswissenschaften und Soziale Arbeit war er damit auch für das fächerübergreifende sozial- und gesellschaftswissenschaftliche Studienangebot verantwortlich. Im Jahr 2017 gab es einen weiteren Neustaart für den Fachbereich: Er wurde auf Initiative des Fachbereichs selbst in zwei Einheiten aufgeteilt. Seither gibt es nun mit dem Fachbereich Soziale Arbeit und dem Fachbereich Gesellschaftswissenschaften insgesamt zwölf Fachbereiche an der Hochschule.

Brigitte Kuntsch, Astrid Ludwig, mika