„Das war eine All-in-Entscheidung“

Einmal Gründung mit alles, bitte! – Bennet Siller und Yannick Zinner sind Umweltingenieure und Erfinder der „Transfairbag“, einer umweltfreundlichen Versandtasche. 2023 haben sie die Circular Innotech GmbH gegründet. Bennet, seit Sommer 2023 zugleich Gründungsberater im YUBIZZ Team, nimmt uns mit auf die Reise ihres Start-ups, die Anfang 2021 begonnen hat. In unserem fünfteiligen Interview spricht Bennet über den Start, Förderungen und Fehler, Partnerschaften und Erfolge, Voraussetzungen und Visionen. Im ersten Teil des Interviews erinnert sich Bennet an die Anfänge in der Garage, einen Schlüsselmoment und wieso der Corona-Lockdown ihre Idee geboostert hat.

Bennet, bitte einmal in Ultra-Kurzpitch-Länge: Was ist die Transfairbag und was ist das Alleinstellungsmerkmal?

Bennet Siller: Die Transfairbag ist die von uns entwickelte Alternative zur Luftpolsterversandtasche. Das herkömmliche Produkt kombiniert eine Luftpolsterfolie aus Kunststoff mit Papier – was sich nicht trennen und recyceln lässt. Wir haben eine einzigartige Polsterfüllung aus Papier entwickelt, die diese Luftpolsterfolie ideal imitiert. Sie schützt die Produkte, aber vor allem die Umwelt. Denn die ganze Tasche kann ungetrennt über das Altpapier entsorgt werden.

So kurz, so klar, danke! Die Idee stammt von Yannick und dir. Woher kennt ihr euch?

Über das Umweltingenieurwesen-Studium. Wir haben in Projekten und dann auch privat viel Zeit miteinander verbracht und sind eng befreundet. Yannick hat nebenbei über seinen Online-Versandhandel Elektroartikel verkauft. Bei ihm stapelten sich deshalb diese Verpackungen aus Verbundstoffen.

Der Impuls für eure Idee?

Ja, wir haben darüber oft gesprochen und uns gefragt, ob diese Plastikverpackung wirklich sein muss. Eines Tages kam Yannick zu mir und sagte: Ich habe jetzt alle verfügbaren Alternativen ausprobiert – und keine funktioniert. Die sind zu teuer und schützen die Produkte nicht richtig. So kamen wir auf die Schnapsidee, eine umweltfreundliche Alternative zu entwickeln. Das war nach Weihnachten 2020. Dann kam der Corona-Lockdown. Da lag manches auf Eis und das gab uns ein bisschen Zeit. Da haben wir uns gesagt: Lass uns an dieser Idee mal festhalten und sie spaßeshalber weiterspinnen.

Wie habt ihr angefangen? Es heißt, auch bei euch war die klischeemäßige Garage im Spiel?

Erst mal haben wir versucht, auf der Basis von Komponenten, die es schon am Markt gab, ein gutes Produkt zu imitieren, also Materialien mit ähnlichen Eigenschaften zu optimieren. So sind wir auf Produkte gekommen, die eigentlich einen ganz anderen Anwendungszweck haben. Dann war klar: Wir brauchen den Prototyp eines Umschlags. Da wir beide sehr kleine Wohnungen hatten, haben wir uns im Januar 2021 in der Garage meiner Mutter breit gemacht. Wir haben uns eine Hydraulikpresse besorgt und damit die Umschläge gepresst. So haben wir im ersten halben Jahr auf sehr einfache Art viele Prototypen mit neuen Materialien und unterschiedlichen Papierarten gemacht.

Meilensteine

01/2021: Bennet Siller und Yannick Zinner machen in einer Garage erste Versuche. In der Hydraulikpresse entstehen frühe Prototypen

01/2021: Bewerbung ums Hessen Ideen Stipendium

04 – 09/2021: Hessen Ideen Stipendium: Unterstützung für Gründungsteams aus hessischen Hochschulen beim Übergang von einer ersten unternehmerischen Idee zum Geschäftskonzept

05/2021: Patentanmeldung

11/2021 – 03/2022: Circular Valley Accelerator: Geschäftsmodellentwicklung und Erschließung internationaler Märkte, Austausch und Networking mit internationalen Start-ups aus mehr als 20 Ländern sowie Investoren und politischen Gremien

04/2022 – 03/2023: EXIST Gründerstipendium (BMWK): u.a. Business- und Finanzplan, Umsetzung der Idee in eine GmbH, Teamaufbau und -strukturierung; Unterstützung durch Maschinenbauingenieur Marius Hofmann

04/2022: Einzug in Räume des Gründungsinkubators der h_da auf dem Campus Darmstadt (Haardtring 100)

10/2022: Cherrypicks Pitch-Preis 2022: 1. Platz

11/2022: Berg-Pitch Pitch-Preis 2022: 1. Platz

12/2022: Hessen Ideen Wettbewerb: 2. Platz; EU Green Concept Award 2023: 1. Platz Kategorie „Packaging”

01/2023: Gründung als GmbH: „Herstellung und Vertrieb von ökologischen Packmitteln“ (Dienstleistungen und Großhandel)

01/2023: Verlegung des Unternehmenssitzes ins Technologie- und Gründerzentrum HUB31, Darmstadt

02/2023: Businessplanwettbewerb promotion Nordhessen: 1. Platz Kategorie Dekarbonisierung

02/2023: Strategische Partnerschaft mit großem Player aus der Verpackungsbranche besiegelt

08 – 12/2023: push!-Stipendium: Vorantreiben der Vision durch Entwicklung neuer Produkte, die Beitrag zu plastikfreiem Versand leisten

Frühjahr 2024: Geplanter Markteintritt (europäisch) mit nachhaltiger Versandtasche, vertrieben durch strategischen Partner
 

Website: transfairbag.de
Kontakt: bennet.siller@transfairbag.de
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Aber ihr wart auch am Schreibtisch aktiv, oder?

Ja, Anfang 2021 ging es Schlag auf Schlag. Wir wollten auf jeden Fall eine Finanzierung. Freunde von uns hatten sich gerade auf das EXIST-Gründungsstipendium beworben und dafür einen Businessplan geschrieben. Mit Blick darauf haben wir auch angefangen, einen Businessplan zu schreiben. Dann bin ich über eine Mail zum Hessen Ideen Stipendium gestolpert, in der hieß es: Letzter Call, Bewerbungsschluss in einer Woche! Ich habe direkt mit der Gründungsförderung der h_da Kontakt aufgenommen. Das erste Gespräch war super positiv, es hieß sofort: „Okay, ihr kommt hierfür in Frage!“ Dann war das extrem sportlich. Wir haben in wenigen Tagen eine Kurzbeschreibung unseres Unternehmens gemacht, dann in einer Nachtschicht noch eine Marktanalyse. So ging das noch per Blitzbewerbung raus. Das war alles im Januar, mitten in meiner Masterthesis. Also da war richtig Land unter. (lacht)

Gab es einen Schlüsselmoment, in dem ihr wusstet: Das ist jetzt nicht mehr nur eine krude Idee, sondern eine echte Gründungsidee?

Ja, das können wir klar sagen: Das war der Tag, an dem wir die Zusage von Hessen Ideen bekommen haben. Yannick und ich sind beide sehr impulsiv und begeisterungsfähig. Basteln, ausprobieren, selber machen, das war unser Ding. In dieser Phase kamen wir quasi monatlich mit einer neuen Idee. Aber dabei hatten wir nie daran gedacht, ein Unternehmen zu gründen! Bis zum Beginn der Förderung im April 2021 hatten wir nicht mal unseren Familien von dem Projekt erzählt. Wir wollten erst mal ohne Druck machen und gucken, wie es ankommt. Als wir wussten, wir werden jetzt ein halbes Jahr gefördert, hat sich das gedreht. Für mich war das der perfekte Übergang aus dem Studium hinaus. Und das war auch der Tag, an dem wir gesagt haben: Das mit der Patentanmeldung machen wir jetzt auch.

… was ja auch eine Frage des Kleingelds ist?

Ja, schon. Ich hatte im Master-Studium auf eine Indonesien-Reise gespart. Die wollte ich unbedingt machen, dafür hatte ich 2.000 Euro zurückgelegt. Tja, dann kam Corona und aus der Reise wurde nichts. Da hab ich mir gesagt: Es soll so sein, ich nehme jetzt einfach dieses Geld. Yannick hat zum 1. April seinen Online-Handel eingestellt. Aus dem Abverkauf kamen auch circa 2.000 Euro zusammen. Diese 4.000 Euro haben wir in das Patent investiert. Das war eine All-in-Entscheidung – aber keine Impulshandlung. Wir haben super viel recherchiert, weil wir uns in dem Patentthema natürlich null auskannten. Aber das Hessen Ideen Stipendium, das war diese Stimme die uns gesagt hat: „Wir glauben an eure Idee – so sehr, dass wir euch finanziell unterstützen.“ Die Förderung in dieser intensiven Anfangszeit, die für Gründer:innen viel entscheidet, die war schon extrem wichtig.

Warum habt ihr sofort das Patent angemeldet?

Wir wollten so schnell wie möglich unsere Idee nach außen tragen und mit anderen dazu in Kontakt kommen. Es bestand schon die Gefahr, dass uns andere zuvorkommen. Also wollten wir die Idee so schnell wie möglich sichern. Es ging uns auch darum, potenziellen Kund:innen einfach mal den Umschlag in die Hand drücken zu können. Am Anfang waren wir wahnsinnig unsicher und vorsichtig. Wir haben das keinem erzählt, es war wirklich top secret. Im Nachhinein kann man sagen: Es lauert nicht hinter jeder Ecke jemand, der Ideen abgreifen will. Die wahre Schwierigkeit liegt nicht in der Idee, sondern darin, die Idee umzusetzen.

Ihr habt trotz bereits gesichertem Patentschutz weiter Vollgas gegeben, um an den Markt zu kommen. Warum?

Weil der Nachhaltigkeitsmarkt unheimlich schnell ist. Klingt erst mal nach einem Widerspruch, ist aber so. Wenn du tief im Thema drin bist, merkst du, dass die Konkurrenz an ähnlichen Produkten arbeitet. Unser Anspruch war und ist, die Versandtasche als Erste produziert zu kriegen, uns damit am Markt durchzusetzen und einen Namen zu machen. Trotzdem sind bis heute schon gut drei Jahre vergangen. Wir hatten nach zwei Monaten ein Geschäftsmodell, ein Patent, die Zusage fürs Hessen Ideen Stipendium und die Bewerbung für EXIST in Arbeit. Damals dachten wir: Die Start-ups, die ihre Idee nach drei Jahre nicht vermarktet kriegen, die lassen es halt zu entspannt angehen. Aber nein, so ist es nicht! Der Weg ist steinig und hart. Man muss ständig am Ball bleiben, um jede Finanzierung kämpfen. Das verschlingt einfach enorm viel Zeit.

Gleich nach dem Hessen Ideen Stipendium ging es für euch in den Circular Valley Accelerator. Wie kam das?

Wir wollten nicht von jetzt auf gleich ohne irgendwas dastehen. Also haben wir uns schon im Sommer 2021, nach drei Monaten im Hessen Ideen Stipendium, für das EXIST-Gründungsstipendium beworben – viel zu früh. Im September kam die Nachricht, dass das nicht klappt. Plötzlich war klar: Ab nächstem Monat haben wir kein Einkommen mehr! Für mich war das wahnsinnig schwierig. Ich bin eher „Team Sicherheit“ und war gerade in meine erste eigene Wohnung gezogen. Jetzt war ich in der Situation, in die ich nie kommen wollte. Dann zweifelt man und hinterfragt: Was ist das eigentlich? Ist das doch einfach eine Schnapsidee? Warum nicht doch einen Job annehmen?

… was ihr nicht getan habt?

Nein, wir haben uns gesagt: Okay, wir geben noch nicht auf. Wir ziehen es noch ein paar Monate weiter durch, dann können wir uns immer noch dagegen entscheiden. Genau da sind wir auf den Circular Valley Accelerator aufmerksam geworden, der den Fokus auf Nachhaltigkeit hat. Wir haben uns beworben und wurden tatsächlich als eines von wenigen Start-ups unter 300 internationalen Bewerbungen aus der Kreislaufwirtschaft ausgewählt. Ab Ende 2021 wurden wir für fünf Monate gefördert! An diesem Punkt haben wir entschieden, nicht nur zu den Workshops nach Wuppertal zu pendeln, sondern die vollen fünf Monate dorthin zu gehen. Es ging uns darum, bewusst Abstand zu unserer gewohnten Umgebung zu schaffen. Wir wollten den ganzen Tag ohne Ablenkung arbeiten – und haben gehofft, dass uns dieses internationale Nachhaltigkeitsumfeld noch mal einen Boost gibt.

Deep work in Wuppertal also. Ging der Plan auf?

Ja, voll! Unser Fokus war: Wir stehen morgens auf und machen jeden Tag alles, damit das mit der Transfairbag klappt. Wir reden mit jeder Person, die uns vor die Nase kommt. Wir suchen nach Investoren, wir suchen nach anderen Finanzmitteln, nach den bestmöglichen Produkten, nach Produktionsstätten, nach Maschinenbauern – alles. Das war viel Büroarbeit, die konnten wir von dort aus wunderbar machen. Wir hatten auch Termine in Norddeutschland, in den Niederlanden und hier in Rhein-Main. Wir haben mit sehr vielen Stakeholdern gesprochen – und sind so tatsächlich in Kontakt zu unserem heutigen Kooperationspartner gekommen. Außerdem haben wir noch mal eine verbesserte Bewerbung fürs EXIST-Gründungsstipendium fertig gemacht. Wir haben wirklich durchgepowert. Und es hat sich gelohnt, sich diese Zeit zu nehmen.

Im zweiten Anlauf habt ihr das EXIST-Gründungsstipendium bekommen – und zwar nahtlos nach der Zeit in Wuppertal. Wie hat euch das vorangebracht?

Die Eckdaten sagen es schon: ein Jahr lang ein gutes Gehalt, dazu Sachmittel von 30.000 Euro, zusätzlich Coaching-Mittel – und das nicht zurückzuzahlen. Das ist natürlich maximal attraktiv. Dafür stellt das BMWK aber auch sehr hohe Anforderungen. Es fördert nur gezielt solche Teams, die in den Startlöchern der Gründung stehen. Für uns kam das im April 2022 zum idealen Zeitpunkt, weil wir so wirklich durchstarten konnten. Dank EXIST konnten wir uns richtig ausstatten, um selber eine Prototypanlage zu bauen. Außerdem bekamen wir Räume an der h_da.

Über eure Zeit im Inkubator sprechen wir auch noch. Wer hat euch bis zu diesem Zeitpunkt außerdem besonders unterstützt?

Freunde und Familie, ganz klar. Die Unterstützung im Privaten spielt die größte Rolle. Sie bilden das Fallnetz, das man bei einer Gründung braucht. Daneben hatten wir zum Beispiel bei Circular Valley einen Mentor, der unsere Idee klasse fand und uns besonders unterstützt hat. Aber da müssten wir jetzt noch sehr viele andere erwähnen. Im Endeffekt denke ich, alle, mit den wir gesprochen und die uns irgendwie weitergeholfen haben, waren unsere Mentor:innen und Coaches.

Ihr habt es euch hart erarbeitet – aber insgesamt lief es dann in Sachen Förderungen ja ziemlich gut. Wo hättet ihr euch noch mehr Unterstützung erhofft?

Was uns tatsächlich enttäuscht hat, ist die private Investorenkultur hier in Deutschland. Das muss man einfach sagen. Wir hatten nicht die Erwartung, dass man ohne Weiteres schnell Geld für irgendwas bekommt. Aber wir haben mit fünf, sechs potenziellen Investoren gesprochen. Und das ging nie über das erste Gespräch hinaus, in dem mal eine Zahl genannt wurde. Wir haben uns am Ende des Gesprächs immer freundlich verabschiedet. Aber im Nachhinein müssen wir sagen: Das waren Vorstellungen, die wir nicht nachvollziehen konnten. Klar, kann sein, dass wir einfach mit den falschen Leuten gesprochen haben. Aber nach allem, was ich aus der Gründungsszene höre, machen viele diese Erfahrung. Umso wichtiger sind die öffentlichen Förderprogramme in Deutschland. Die bilden wirklich die Grundlage für Start-ups aus der Wissenschaft.

Inwiefern hilft euch das Umweltingenieurwesen-Studium in eurem Business?

Ich glaube, das Fachliche ist die halbe Miete. Genauso wichtig ist, dass man lernt, selbstständig zu arbeiten, Projekte umzusetzen, unter Druck Deadlines einzuhalten. Das ist für mich das Hauptargument fürs Studium. Es gibt keinen, der einem sagt, was man wie und wann zu tun hat. Man ist auf sich alleine gestellt. Es gibt nur: läuft oder läuft nicht, kriegt man es fristgerecht hin oder nicht, bestanden oder nicht bestanden. Das hat uns am meisten geholfen.

Und fachlich?

Wir haben gelernt, die kreislaufwirtschaftlichen Prozesse zu überblicken und eine Ökobilanz zu machen. Deswegen wussten wir, dass unser Produkt tatsächlich hilft. Wir konnten sogar in Zahlen, Daten, Fakten genau berechnen, wie sehr es hilft. Nachhaltigkeit ist ein wichtiges Thema – es ist aber auch ein Trend. Manche Ideen von Gründungsteams sind wirklich gut gemeint, aber wenn man sie sich ökobilanziell anschaut, muss man sie noch mal hinterfragen. Wir wussten vorher: Die Transfairbag ist tatsächlich ein gutes Produkt.

Du deutest es schon an: Inzwischen hast du auch mit den Ideen anderer Start-ups zu tun. Seit Sommer 2023 bist du außerdem Gründungsberater für YUBIZZ. Wieso machst du neben deinem eigenen Business noch diesen Job?

Weil ich das Thema Gründung wahnsinnig spannend finde! Die Rolle, Gründer:innen zu beraten, finde ich super. Zumal an der h_da mit dem direkten Bezug zur Wissenschaft, den Fachbereichen und den Studierenden im Hintergrund – das hat so viel Potenzial!

Du hilfst jetzt Gründungsteams beim Businessplan oder dabei, an Fördermittel zu kommen. Hast du das noch so präsent, dass du das aus dem Ärmel schüttelst?

Mir kommt zugute, dass ich mich in unserer Startphase vor allem um das Strategische gekümmert habe. Entschieden haben wir zu zweit, klar. Aber ich habe recherchiert: Was ist die beste Finanzierungsform? Wie kommt man mit einem strategischen Partner in Kontakt und wie führt man solche Verhandlungen? Ich habe mich immer intensiv über alle möglichen Wege informiert. Dass ich meine Teams jetzt auf dieser Basis beraten kann, finde ich cool. Ich kann ihnen die Optionen aufzeigen und Tipps geben. Ob man ein physisches Produkt rausbringt oder eine digitale Dienstleistung – die großen Fragen bleiben die gleichen: Wie finanziert man sich? Wie gewinnt man Kunden? Aber die Antworten sind dann andere. Ich lerne dabei selbst noch viel. Das Schöne ist, dass ich nicht alles wissen muss – ich muss nur wissen wer‘s beantworten kann. Dazu habe ich inzwischen das nötige Netzwerk.

Was hältst du für die wichtigste persönliche Voraussetzung für eine erfolgreiche Gründung?

Mental Health! Die Basis jeder Gründung ist das Team. Geht das Team kaputt, ist die Idee oder der Plan vom Unternehmen kaputt. Dann kann man nur noch den Scherbenhaufen zusammenkehren. Deshalb muss man die Mental Health der einzelnen Teammitglieder im Auge behalten und wirklich pflegen – bei sich selber und bei den anderen. Eine typische Situation in der Selbstständigkeit ist, dass man sich sagt: „Okay, ich habe gerade eine ultra-stressige Phase, aber nächstes Quartal wird alles besser.“ Wie viele Quartale will man sich das noch sagen, bis man sich eingesteht: „Mir geht es gerade nicht gut“?

Erkenntnis und Umsetzung sind dabei zwei Paar Schuhe. Mal ehrlich: Gründungsberater, Gründer und Geschäftsführer – wie viele Arbeitsstunden hat deine Woche? Bleibt da noch Zeit fürs Private?

Ich habe wirklich viele Hobbys und verbringe sehr viel Zeit auch mit anderen Leuten. Ich mache selbst Musik, bastel‘ super gerne in der Werkstatt, bin im Verein aktiv, bin viel mit dem Motorrad unterwegs, Reisen ist mir wichtig... Im Sommer 2022 habe ich selber erfahren, dass ich das nicht immer unter einen Hut kriege. Damals hatte ich jede Minute mit Aktivitäten gefüllt. Das war einfach zu viel – dann klappt man zusammen. Das geht wesentlich schneller als man denkt! Klar, ich arbeite eigentlich jeden Tag – manchmal halt nicht so viel. Den Sonntag habe ich mir weitgehend freigeräumt. Mittlerweile bin ich wieder zurück von 50 bis 60 Stunden auf eine 35- bis 40-Stunden-Woche.

Was tust du denn für deine mentale Gesundheit?

Ich nehme mir eben die Zeit für Freunde, Familie und Hobbys. Am wichtigsten ist aber, dass man sich Zeit für sich selber nimmt: sich beobachten, reflektieren und Schlüsse daraus ziehen. Es ist noch nicht schlimm, wenn man abends mal Einschlafprobleme hat, weil man drüber nachdenkt, wie das Ganze weitergehen soll. Aber wenn das zu lange anhält, geht es auf die mentale und physische Gesundheit. Sich dann einzugestehen: „Ich muss das jetzt mal liegen lassen“ oder „Hey, ich brauche eine Auszeit“ – das erfordert Selbstreflexion. Das muss man üben. Und dann braucht es die Unterstützung vom Team. Die Reaktion muss sein: „Das verstehe ich. Nimm dir die Zeit, die du brauchst, ich halte dir den Rücken frei.“ Im Kern baut sich Mental Health für mich aus diesen beiden Komponenten auf: Selbstreflexion und gegenseitiger Rückhalt. In unserem Team haben wir das zum Glück.

Was macht euch außerdem stark?

Ich glaube, dass wir die gleiche Vision teilen und an jeder einzelnen Aufgabe richtig viel Spaß haben! Okay, außer an Buchhaltung. (grinst) Das halten wir auch für das Wichtigste beim Gründen: Wenn es keinen Spaß macht, warum macht man es dann? Es geht doch darum, jeden Tag mit Leuten zu arbeiten, die man mag und etwas zu schaffen, das einen Impact hat. Was gibt es denn Schöneres?! Aber die Gefahr besteht, das aus den Augen zu verlieren.

… weil man sich von Aufgaben vereinnahmen lässt?

Ja. Das kennt jeder Kreative. Wenn man nach einem Nine-to-five-Job nach Hause kommt und dann noch was zeichnen, designen oder gestalten will – das funktioniert nicht. Dann ist die Luft raus, der Kopf ist leer, man will nur auf die Couch. Man muss die Rahmenbedingungen für kreative Einfälle schaffen, damit man Neues versuchen, rumspinnen, sich inspirieren lassen kann. Dafür braucht man Zeit, Entspannung, Gelassenheit. Das stellt sich nicht ein, wenn man der falschen Vision oder dem falschen Traum hinterherrennt.

Im letzten Part habt ihr viel Persönliches von Bennet erfahren, das euch vielleicht Impulse für euer eigenes Verhalten geben kann. Im vierten Interview-Teil verrät Bennet, wie Yannick und er einen strategischen Partner gefunden haben – und was sich für sie dadurch geändert hat.

Text

Daniel Timme

Illustrationen

Elisabeth Ermisch

Fotos / Bildnachweise

privat (3)

veröffentlicht

April / Mai 2024